Die Meteoritensammlung
Das Naturhistorische Museum in Wien beherbergt eine der größten Meteoritensammlungen der Welt. Mit derzeit (Dezember 2018)
über 10.300 Objekten (darunter mehr als 2550 verschiedenen Meteoriten) liegt die Sammlung an dritter Stelle, nur übertroffen vom U.S. National Museum in Washington, D.C., und der großen Sammlung
antarktischer Meteoriten in Tokio (National Institute of Polar Research).
Saal 5 des Naturhistorischen Museums enthält die weltweit größte Meteoriten-Schau. Der 2012 vollständig renovierte und modernisierte Saal zeigt heute 1100 Meteoriten (darunter 650 verschiedene, mit 300 Fällen und 350 Funden).
Geschichte der Sammlung
Die Sammlung des Naturhistorischen Museum ist nicht nur sehr groß, sondern hat auch die längste Geschichte aller Meteoritensammlungen. Sie war und ist außerdem eine bedeutende Forschungsstätte für Meteoriten und die mit ihnen in Zusammenhang stehenden Impaktgesteine.
Meteorite wurden in Wien schon gesammelt als sie noch als irdische Bildungen galten (Meteorit ~ Aerolith ~ Luftstein). Natürlich
fand sich in den diversen Wunderkammern der Herrschenden immer wieder Materie, welche vom Himmel gefallen war und welche,
je nach Bedarf, als Glücks- oder Unglücksbringer eingestuft wurde.
Trotzdem manche Fälle von hunderten Zeugen beobachtet wurden, befand die hohe Wissenschaft, dass es sich bei dieser Materie
nur um eine etwas ungewöhnliche irdische handeln könne.
In dieser den Meteoriten sehr feindlich gesinnten Zeit fielen zwei Eisenmassen in Hraschina bei Agram (Zagreb, Kroatien).
Der Fall ereignete sich am 26. Mai 1751, nur wenige Jahre nach dem Ankauf der Baillou'schen Naturaliensammlung durch Kaiser Franz I. (1748).Der Kaiser forderte vom bischöflichen Konsortium in Zagreb einen Bericht über den Fall an. Dieser wurde zusammen mit den Eisenstücken
im Juli an den Hof geliefert. Das Hauptstück kam in die kaiserliche Schatzkammer, von wo es bald seinen Weg in die kaiserliche
Naturaliensammlung fand. Die 39 kg schwere Eisenmasse Hraschina begründete die Wiener Meteoritensammlung.
Protokoll von Bischof Klobuczezky und Generalvikar Wolfgang Kukuljevic & der Hraschina-Meteorit.
Das Protokoll des Bischofs Klobuczezky und des Generalvikars Wolfgang Kukuljevic listet viele Zeugenaussagen zum Fall und
des mit diesem verbundenen Feuerballs auf. Es wird später ein wichtiges Dokument für Franz Güssmann und E.F.F. Chladni sein,
die mit Hilfe solcher Zeugenberichte und an Hand der mit Schmelzkruste überzogenen frisch gefallenen Meteoriten den Nachweis
für deren Herkunft aus dem Weltraum erbrachten.
Der intellektuelle Nachweis hätte wohl nicht so bald gefruchtet, da trotz einer Reihe von Steinfällen die Meinung der Wissenschaft
(angeführt durch die Akademie Francaise) sich nicht änderte. Erst der Steinregen von L'Aigle (26. April 1803) änderte die
Situation.
Das Akademiemitglied Jean-Baptiste Biot hat zahlreiche Zeugen befragt und daraufhin einen detaillierten Bericht über seine
Erkenntnisse veröffentlicht. Thenard und Vauquelin untersuchten zusammen mit dem britischen Chemiker Howard die Steine. Seit
diesem Zeitpunkt sind Meteorite tatsächlich als außerirdische Objekte anerkannt.Die Sammlung in Wien, betreut von Abbé Stütz, bestand kurz nach diesem Zeitpunkt aus 7 Meteoriten: Hraschina (40 kg), Krasnojarsk (2,5 kg), Tabor (2,7 kg), Steinbach
(1,1 kg), Eichstädt (126 g), L'Aigle (1,1 kg) und Mauerkirchen (429 g).
Karte des Meteoriten-Streufelds von L'Aigle (Biot, 1803) und Ansichten eines großen Stücks des Meteoriten l'Aigle.
Der Nachfolger Stütz's, Carl von Schreibers, interessierte sich sehr für Meteorite, studierte diese intensiv und regte viele Zeitgenossen an, ebenfalls Meteorite zu
untersuchen. Unter anderem beschäftigte sich sein Freund Alois von Widmanstätten, Direktor des kaiserlichen Fabriksproduktenkabinetts,
mit den außerirdischen Eisen, von denen er die heute nach ihm benannten "Widmanstätten'schen Figuren" beschrieb. Schreibers
und Widmanstätten arbeiteten auch mit vielen berühmten Wissenschaftern jener Zeit zusammen, um mehr über die Meteorite in
Erfahrung zu bringen.
Carl von Schreibers und Originalplättchen der “Widmanstätten’schen Figuren”.
So untersuchte der Chemiker Martin Heinrich Klaproth in Berlin Proben aus Wien und erstellte die ersten chemischen Analysen
von Stein- und Eisenmeteoriten. Auch Jöns Jakob Berzelius und Friedrich Wöhler konnten zur Mitarbeit gewonnen werden. Carl von Schreibers kann als Begründer der Meteoritenkunde angesehen werden, und er legte das Studium der Meteoriten auch gleich so an, wie es
bis zum heutigen Tage funktioniert: als interdisziplinäre Forschung. Alle Naturwissenschaften arbeiten bis heute eng zusammen,
um die verschlüsselten Botschaften aus dem solaren Urnebel den Meteoriten zu entreißen.
Die Sammlung wuchs schnell, auch unter Schreibers' Nachfolgern Paul Partsch, Moriz Hoernes und Gustav Tschermak. Besonders Tschermak war ungemein fleißig und publizierte viele Untersuchungsberichte - und auch ein schönes Buch als Zusammenfassung
seiner Beobachtungen.
Paul Partsch (links), Moriz Hoernes (mitte) und Gustav Tschermak (rechts).
Aristides Brezina (links) und Friedrich Berwerth (rechts).
Seine Nachfolger Aristides Brezina und Friedrich Berwerth setzten die Meteoritenstudien fort.Die intensive Beschäftigung mit der Sammlung führte auch zu einem kräftigen Zuwachs an Meteoriten: Zur Jahrhundertwende befinden
sich in der Sammlung über 600 verschiedene Meteorite, darunter viele Hauptstücke.
Mit dem Ersten Weltkrieg und dem Zerfall der Österreich-Ungarischen Monarchie wurden die Forschungsaktivitäten jählings gestoppt.
Österreich kämpfte ums Überleben und die Kuratoren um den Erhalt des Übernommenen. Bescheidene Aktivitäten regten sich unter
der Leitung von Hermann Michel, aber auch diese wurden abrupt durch den Zweiten Weltkrieg unterbunden. Die Sorge galt wiederum
der Erhaltung des Bestehenden. Es gelang Michel, die Sammlung praktisch vollständig in die Nachkriegszeit zu retten. Noch
war sie jedoch nicht vollständig gerettet, denn die Besatzungsmächte zeigten Interesse und neuerlich musste um die Erhaltung
gekämpft werden. Hermann Michel hatte mit russischen Offizieren zu kämpfen und Hubert Scholler musste massive Angriffe von
amerikanischer Seite abwehren.
Hermann Michel (links), Hubert Scholler (mitte) und Alfred Schiener (rechts).
Erst in den 1960er-1970er Jahren begann die Meteoritensammlung wieder zu wachsen. Nach dem Ausbau der Laboratorien wurde auch
die Sammlung erneut zum Leben erweckt und ihre Bestände wurden wieder intensiv für Forschungszwecke verwendet. Unter der Leitung
von Gero Kurat erlaubte das Ankaufsbudget den Erwerb ausgewählter zeitgenössischer Fälle und Funde. Eine groß angelegte Spendenaktion der
"Freunde des Naturhistorischen Museums in Wien" ermöglichte, erstmals in der Geschichte der Sammlung, den Ankauf einer großen
Meteoritensammlung, der "Second Huss Collection of Meteorites" aus den USA. Diese Sammlung von 125 Meteoriten, darunter viele
Hauptstücke, stopfte das durch die Kriege verursachte Erwerbsloch wenigstens teilweise. Später wurden noch zwei weitere Sammlungen
von rezenten Meteoritenfunden aus der Sahara erworben, die sehr wichtige statistische Daten zu den Meteoritenfällen der letzten
100.000 Jahre liefern.Darüber hinaus enthalten diese Sammlungen auch eine Reihe seltener Meteoritenarten. Im Jahr 1997 konnte die historisch wertvolle
Meteoritensammlung von Johann G. Neumann erworben werden, dem Entdecker der nach ihm benannten „Neumann’schen Linien im meteoritischen
Kamazit.
Nach der Pensionierung von Gero Kurat Ende 2003 wurde Franz Brandstätter zum Kurator der Meteoritensammlung bestellt. Ludovic
Ferrière, seit 2011 als Ko-Kurator der Meteoritensammlung tätig, hat weitgehend zur Vorbereitung der Neupräsentation der Meteoritensammlung
und zur Reorganisation der Sammlung nach modernen Standards beigetragen. Nach der Pensionierung von Franz Brandstätter Ende
2018 wurde Ludovic Ferrière zum Kurator der Meteoritensammlung bestellt; Julia Walter-Roszjár wurde zur Ko-Kuratorin der Meteoritensammlung
bestellt.
Während der letzten zehn Jahre gelangten mehrere neue Meteoriten in die Sammlung. Der bemerkenswerteste Zuwachs erfolgte 2012
durch den Erwerb eines 908,7 g schweren Steins des Marsmeteoriten Tissint, der durch Mittel aus der Erbschaft nach Oskar Ermann
angekauft werden konnte.
Gero Kurat, Franz Brandstätter, Ludovic Ferrière und Julia Walter-Roszjár.
Literatur zur Meteoritensammlung und zu Meteoriten allgemein
Brandstätter, F., Ferrière, L. & Köberl, C. (2012): Meteoriten - Zeitzeugen der Entstehung des Sonnensystems / Meteorites
- Witnesses of the origin of the solar system. Verlag des Naturhistorischen Museums & Edition Lammerhuber, 270 pp. (bilingual).