Die Venus zieht um! NEUES VENUSKABINETT im NHM Wien

22. September 2015
Die Venus von Willendorf bezieht ihre neue Vitrine im "Venuskabinett" bei den Prähistorischen Schauräumen.
 
  • Die Venus zieht um! NEUES VENUSKABINETT im NHM Wien
  • Die Venus ist deutlich älter! NEUE ALTERSANALYSE           
     
FOTOTERMIN:
am Dienstag, den 22.09.2015, um 10:30 Uhr, Treffpunkt: Untere Kuppelhalle
 
mit
 
Dr. Anton Kern, Direktor der Prähistorischen Abteilung
Dr. Walpurga Antl-Weiser, Kuratorin der Sammlungen Altsteinzeit und Jungsteinzeit


Venus von Willendorf – die „Mona Lisa des Naturhistorischen Museums Wien“
 
Als „Mona Lisa des Wiener Naturhistorischen Museums“ bezeichnet Generaldirektor Univ. Prof. Dr. Christian Köberl, die Venus von Willendorf, „so bedeutend für unser Haus und weltweit bekannt wie Leonardos Ölgemälde im Pariser Louvre“. 
 
Perfektion der Darstellung und harmonische Ausstrahlung machen die nach dem jüngsten Forschungs-stand 29.500 Jahre alte Figur der Venus von Willendorf zu einem der ausdrucksstärksten Kunstwerke der Altsteinzeit.
 
Gefunden wurde die Venus von Willendorf 1908 bei archäologischen Grabungen des Naturhistorischen Museums. Wer in welchem Maß an ihrer Auffindung beteiligt war, wurde in den folgenden Jahren heftig diskutiert. Die Statuette galt damals als das älteste vollständig erhaltene Abbild eines Menschen und ist bis heute ein oft zitiertes Beispiel für das Weibliche an sich.
 
Die Frauenfigur wurde mit Feuerstein-Werkzeugen aus feinem Kalkstein geschnitzt
und war ursprünglich mit Rötel bedeckt. Rot galt in der Altsteinzeit als Symbol für Leben, Tod
und Wiedergeburt. Trotz der Kleinheit sind manche Details ungemein realistisch dargestellt.
 
Auf den schweren Brüsten ruhen dünne Arme, die mit gezackten Armreifen geschmückt sind.
Den leicht geneigten Kopf ziert eine aufwendige Frisur oder Kappe aus Korbgeflecht.
Ihre rätselhafte Gesichtslosigkeit hebt die Venus von Willendorf über das Individuum hinaus und
verleiht ihr gleichzeitig viele Gesichter. Sie ist nicht Abbild einer bestimmten Person, sondern Trägerin
einer universellen Botschaft, die zu ihrer Zeit wohl in ganz Europa verstanden wurde,
uns aber für immer verborgen bleiben wird.
 
Die Venus von Willendorf bezieht nun ein neues, eigens für sie eingerichtetes Kabinett innerhalb der Prähistorischen Schauräume (Zugang durch Saal 11), die generalsaniert wurden und ab 30. September 2015 wieder für Publikum zugänglich sind.
 
Die Venus ist deutlich älter
 
Mit rund 29.500 Jahren ist die 1908 gefundene Venus von Willendorf als „das“ Prunkstück der Sammlungen des NHM Wien um 4.500 Jahre älter als bis noch vor kurzer Zeit angegeben. Hinweise darauf, das in den 1950er Jahren ermittelte Alter der Figur aus der Wachau könne zu jung sein, haben die Forscherinnen und Forscher der Prähistorischen Abteilung seit geraumer Zeit. Durch die Ergebnisse eines internationalen Forschungsprojektes an der Universität Cambridge und dem Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, das unter anderem die Erdschichten an der Fundstelle der Statuette einer modernen Form der Altersermittlung unterzog, ist das höhere Alter nun wissenschaftlich umfänglich gesichert.
 
 
Das Analyseverfahren zur neuen Altersbestimmung
 
Im Zentrum der Forschungen stand ein Lössprofil in Willendorf, das im Jahr 1908 Anlass zu ersten Ausgrabungen durch das Naturhistorische Museum in Wien gab. Dieses Profil zeigt die Abfolge von Lössschichten mit Spuren von menschlicher Anwesenheit über einen Zeitraum von mehr als 20.000 Jahren. In der Wissenschaft gilt es nicht nur als Klimaarchiv der Altsteinzeit, sondern es gewährt auch einen Einblick in die Abfolge archäologischer Kulturen, die in Mitteleuropa ihresgleichen sucht. Seit Jahrzehnten locken die Fundobjekte aus diesen Kulturschichten Archäologinnen und Archäologen aus aller Welt ins NHM Wien, um Vergleichsstudien mit ihren Funden durchzuführen. Die ältesten Schichten aus dem Lössprofil entstanden vor etwa 50.000 Jahren, die jüngsten vor etwa 29.000 Jahren.
 
Bei Ausgrabungen in Willendorf in den Jahren 2006 bis 2011, die vom NHM Wien unterstützt wurden, konnten die österreichischen Forscher Philip R. Nigst (Cambridge/Leipzig) und Bence Viola (Leipzig) Material gewinnen, das für eine moderne naturwissenschaftliche Altersbestimmung genutzt wurde. Das Analyseverfahren zur 14C-Datierung, das auch als Radiokarbondatierung bekannt ist, beruht darauf, dass jedes Lebewesen während seines Lebens eine spezielle Radiokarbon-Konzentration in seinen Zellen aufweist. 14C wird sowohl kontinuierlich aufgenommen als auch abgebaut. Da nach dem Tod der Austausch mit Kohlendioxid in der Luft endet und somit kein neues 14C mehr aufgenommen wird, wird Radiokarbon nach dem Tod des Lebewesens ausschließlich abgebaut. Dass die Halbwertzeit von 14C etwa 5735 Jahre beträgt, ist bekannt, weshalb durch die Anzahl der verbleibenden 14C-Atome in den Zellen der Todeszeitpunkt eines Lebewesens bestimmt werden kann.
 
Seit geraumer Zeit beschäftigt sich die Forschung zunehmend mit dem Umstand, dass die Konzentration von 14C in den Zellen umweltbedingten Schwankungen unterliegt – Veränderungen der Stärke von Sonneneruptionen können zum Beispiel zu einem höheren oder niedrigeren 14C-Gehalt in der Luft führen und damit zu einer unterschiedlich großen Einlagerung von Radiokarbon in den Zellen. Daher kalibriert die moderne Wissenschaft jene über die 14C-Analyse gewonnenen Daten durch eine möglichst genaue Kenntnis der Umweltbedingungen und spezielle IT-Programme. Die Eiszeit stellt die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dabei vor besondere Herausforderungen, da eine Kalibrierung mit Hilfe der Jahresringanalyse von Bäumen, die für andere Zeitstellungen oft genutzt wird, in diesem Zeitraum aufgrund der wenigen erhaltenen Baumreste nur schwer möglich ist. Durch ein Zusammenführen zahlreicher Daten und neuer bestimmbarer Proben gelang es, für das bedeutende Willendorfer Lössprofil vollständig kalibrierte 14C-Daten zu gewinnen.
 
Nigst P.R. et al.  Early modern human settlement of Europe north of the Alps occurred 43,500 years ago in a cold steppe-type environment. PNAS 2014, vol. 111 no. 40, 14394–14399, doi: 10.1073/pnas.1412201111
 
Damit konnte das Alter der Statuette auf 29.500 bestimmt werden.
 
 
Die zweite Dame im Venuskabinett: Venus vom Galgenberg / Fanny von Stratzing
 
Ihren neuen Platz im Venuskabinett (neben dem Saal 11) der renovierten Prähistorischen Schauräume wird sich die Venus von Willendorf mit einer weiteren berühmten Dame teilen: der sogenannten „Fanny“, eine Schiefer-Statuette, die am Galgenberg bei Stratzing/Krems-Rehberg im Rahmen von Ausgrabungen des Bundesdenkmalamtes gefunden wurde.
 
Die auch als Venus vom Galgenberg bekannte Figurine ist 36.000 Jahre alt, das älteste Kunstobjekt Österreichs und damit auch weltweit eine der ältesten Menschen-Skulpturen.
 
Die Statuette aus Amphibolitschiefer ist nur 7,2 Zentimeter groß, konnte aber über Holzkohlenreste in derselben Schicht mittels Radiokarbonmethode absolut datiert werden. Mit einem Alter von ca. 36.000 Jahren ist sie um 7.000 Jahre älter als die Venus von Willendorf. (Ihr Alter wurde früher geringer angesetzt, durch dieselbe Re-Kalibration der Radiokarbondatierung musste auch das Alter der Fanny erhöht werden.)
 
Ihre nach oben gerichtete, dynamische Bewegung unterscheidet die Reliefplastik von allen vergleich-baren Funden. Ein Arm emporgestreckt, den Oberkörper leicht gedreht, scheint die Figur wie in einer Pirouette erstarrt. Das Grabungsteam hat sie deshalb nach der berühmten österreichischen Tänzerin Fanny Elßler "Fanny" genannt.
 
Das Naturhistorische Museum Wien ist stolz, dass dieses herausragende Objekt vom 11. September 2015 bis 24.Jänner 2016 Teil der Ausstellung „2050. A Brief History of  the Future“ im Königlichen Museum für Schöne Künste Belgien zu sehen ist. In der Schau in Brüssel ist sie der Arbeit Fragile Goddess (2002) von Louise Bourgeois (1911-2010) gegenübergestellt, um einen Blick zurück zu werfen, und um dabei die Zukunft zu erforschen. Bourgeois verweist in ihrem Werk auf heidnische Fruchtbarkeitsgottheiten, nur hat ihre Figurine weibliche und männliche Attribute. Beide Werke können als Referenz an den alten Glauben an die Unsterblichkeit gesehen werden.  
 
3D-Reproduktion der Fanny von Stratzing
 
Für diese Kooperationsausstellung mit dem Pariser Louvre wurde die Fanny-Statuette mit einem Scanify 3D-Scanner der Firma Fuel3D im Naturhistorischen Museum in Wien digitalisiert, um eine exakte Nachbildung herstellen zu können. In einem damit einhergehenden Prozess von Scanning-Modelling-Printing-Cleaning-Hardening wurde mit Hilfe einer entsprechenden Software eine exakte Kopie des Objektes hergestellt. Die 3D-gedruckte Nachbildung soll in der Ausstellung zeigen, wie Menschen in Zukunft Kunst erleben könnten
 
Nach Ihrer Rückkehr nach Wien im Jänner 2016 wird die Fanny vom Galgenberg anstelle der aktuell zu sehenden Replik ihren dauerhaften Platz neben der Venus von Willendorf finden.
 
 


Spezielles Vermittlungsprogramm außerhalb der Öffnungszeiten
 

Venus, Gold und Sternenhimmel

 

Die Sonderführung „Venus, Gold und Sternenhimmel“ kombiniert drei Museumshighlights in exklusivem Ambiente: Die  Prähistorische Schausammlung präsentiert zwei neue Ausstellungskabinette als Rahmen spektakulärer Fundstücke: Zum einen ist im neuen „Venuskabinett“ das Original der Venus von Willendorf zu sehen, zum anderen wird im „Goldkabinett“ der spektakuläre Goldschatzfund vom Arikogel erstmals dem Wiener Publikum vorgestellt.

Nach dem Besuch dieser beiden Besonderheiten genießen Gäste eine Vorstellung im Digitalen Planetarium zum Thema „Himmel zur Zeit der Venus“. Ein abschließendes Glas Goldsekt rundet diese spezielle Führung ab, die außerhalb der Museumsöffnungszeiten stattfindet.

Die Sonderführung „Venus, Gold und Sternenhimmel“ ist als besonderes Kundenevent, für Reisegruppen und auch als exklusive Geburtstagsveranstaltung für Erwachsene buchbar.
Dauer: ca. 1,5 h
Pauschalpreis bis 20 Personen: €    600,-
Pauschalpreis bis 30 Personen: €    900,-
Pauschalpreis bis 40 Personen: € 1.200,-
Infos und Buchungen unter: vermietungen@nhm-wien.ac.at

Schatulle von 1908
© NHM Wien, Kurt Kracher
Venus von Willendorf, Vitrine
Walter Prenner legt die Venus von Willendorf in ihre neue Vitrine

© NHM Wien, Kurt Kracher
Venus von Willendorf, Vitrine
(v.l.n.r.) Dr. Reinhard Golebioswki, Dr. Anton Kern, Venus von Willendorf, Dr. Walpurga Antl-Weiser, Walter Prenner

© NHM Wien, Kurt Kracher
Venus von Willendorf, seitlich
© NHM Wien, Kurt Kracher
Venus von Willendorf, seitlich
© NHM Wien, Kurt Kracher
Venus von Willendorf, frontal
© NHM Wien, Kurt Kracher
Venus von Willendorf in der neuen Vitrine
© NHM Wien, Kurt Kracher
  
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