Forschungsprojekte

Ostalpine Bergbausiedlungen

Die Erforschung prähistorischer Bergbausiedlungen der Ostalpen hat eine lange Tradition. Dennoch ist das Interesse der Archäologie daran in den letzten Jahrzehnten besonders lebhaft geworden und gilt nun auch besonders ökonomischen Hintergründen. Umfassende und beispielgebende Analysen dazu wurden seitens der Archäologisch-Zoologischen Sammlung bereits für die wohl berühmtesten Bergbaustationen Dürrnberg (Salzburg) und Hallstatt (Oberösterreich) vorgelegt. Zahlreiche weitere Tierknochenfundkomplexe besonders aus bronzezeitlichen Bergbausiedlungen wurden jüngst ausgegraben und der Sammlung zur Untersuchung übergeben. Besonders hervorzuheben sind die umfangreichen Materialien aus Brixlegg (Tirol), St. Johann im Pongau (Salzburg), Pichl-Kainisch (Steiermark) und zuletzt Prigglitz (Niederösterreich), die teilweise schon bearbeitet bzw. publiziert wurden.
 
Als gemeinsames Merkmal der bronzezeitlichen Salz- und Kupferbergbaukomplexe muss ein extrem hoher Anteil an Schweineknochen genannt werden, während zur Eisenzeit das Rind in den Vordergrund trat. Die Ursachen für diese Umstellung mögen vor allem in einer Klimaverschlechterung zu suchen sein. In einigen Fällen konnte nachgewiesen werden, dass das zur Versorgung der Bergbaubetriebe benötigte Schweinefleisch bereits vorportioniert und mitunter über beschwerliche Wege angeliefert wurde. Die dabei angewendete spezielle Zerlegungstechnik scheint weite Verbreitung gefunden zu haben. Für Hallstatt ist eine umfangreiche Fleischverarbeitung unter Verwendung des Salzes nachgewiesen. Die dafür erforderliche Produktivität der Viehwirtschaft und das für die stabile Vernetzung von Bergbau, Gewerbe, Viehwirtschaft und Handel unabdingbare logistische Niveau überraschen in einer schriftlosen Epoche.

Roseldorf

Durch eine Grabung des Naturhistorischen Museums Wien wurde auf dem Sandberg bei Roseldorf (Niederösterreich) eine umfangreiche Fundstelle der Mittellatènezeit aufgedeckt. Es handelt sich um eine große Siedlung der keltischen Boier von zentraler Bedeutung. Das bisher zur Untersuchung gelangte Tierknochenmaterial stammt teils aus Siedlungshäusern und teils aus dem „großen Heiligtum 1“, einem quadratischen Grabensystem zweifellos kultischer Bedeutung, dessen nächste Entsprechungen sich im gallischen Raum finden. Die Bearbeitung weiterer umfangreicher Knochenfundkomplexe aus kleineren und größeren Kultanlagen ist im Gange oder steht noch bevor.

Um eine geeignete Vergleichsbasis zu erhalten, wurde zunächst das Siedlungsmaterial aufgearbeitet. Es ergab grundsätzlich die für die Latènezeit bereits bekannten Resultate, wies aber auch auf einen beginnenden Urbanisierungsprozess hin. Das quadratische Grabensystem enthielt neben Militaria vor allem ein Konvolut aus menschlichen und tierischen Knochen. Während die menschlichen Knochen überwiegend aus teilweise zerschlagenen Femora und Tibien bestehen, verteilten sich die über 10000 bestimmbaren tierischen Knochen über den gesamten Körper. Skelette oder Teilskelette liegen nicht vor.

Repräsentanz und Zustand der einzelnen Elemente zeigt keine grundsätzlichen Abweichungen vom Schlachtabfall, doch zeigt sich in den unteren Schichten eine klare Verschiebung der Artanteile zugunsten der großen Arten Rind und Pferd. Es dürfte sich bei dieser Ablagerung um Reste von Festmählern im Zuge von Feierlichkeiten handeln, bei denen der Verzehr von Rind- und Pferdefleisch von ritueller Bedeutung war.
 

Als ganz unerwartete und aufsehenerregende Funde müssen Rinderknochen bezeichnet werden, deren Dimension weit oberhalb der kleinwüchsigen keltischen Rinder liegt. Radiocarbondaten ergaben frühes 3. Jh. v. Chr. Wie die eingehende vergleichend morphologische Untersuchung gezeigt hat, stammen diese Knochen mit größter Wahrscheinlichkeit von Rindern, wie sie aus der Römischen Kaiserzeit wohl bekannt und zur Latènezeit bereits in Mittelitalien nachzuweisen sind. Eventuell gelangten sie durch Vermittlung kriegerischer Keltenstämme, die sich zu dieser Zeit in Mittel- und Norditalien niederließen über die Alpen.

In den letzten Jahren wurde ein weiteres quadratisches Grabensystem ausgegraben, dessen Knocheninhalt abweichend beschaffen war. Hier fanden sich neben Schlachtabfällen und Menschenknochen auch mehrere Skelette von Pferden mit teilweise noch in situ befindlicher Zäumung, deren Deutung als Opfergaben nicht in Frage steht.
 


Stillfried

Im Zuge des seitens der Österreichischen Akademie der Wissenschaften initiierten Forschungsprojektes „Mensch- und Tierdepositionen, Opferkult in Stillfried?“ wird u. a. auch die Aufarbeitung bzw. Revision der Niederlegungen von Tierskeletten innerhalb der späturnenfelderzeitlichen Wallanlage von Stillfried an der March (Niederösterreich) angestrebt. Ein Teil dieser Skelette wurde bereits in den 1980er-Jahren durch den Sammlungsleiter beschrieben. Inzwischen ist weiteres Material hinzugekommen, das Gegenstand der laufenden Untersuchungen ist.
Es handelt sich bei diesen bisher ohne Parallelen dastehenden Tierdepositionen um mehr oder weniger vollständig erhaltene Skelette verschiedener Haus- und Wildtierarten, unter denen besonders Wölfe, Füchse, Hasen, Hirsche und Rehe wegen ausgeheilten Verletzungen, degenerativen Erkrankungen und teils auch außergewöhnlich hohen Lebensalter Rätsel aufgeben.
 

Vieles spricht dafür, dass diese Tiere längere Zeit hindurch in Gefangenschaft gehalten worden waren. Warum wurden diese jagdbaren Tiere nicht verzehrt und ihre meist unversehrten Körper stattdessen innerhalb des Walles zusammen mit anderen als rituell gedeuteten Objekten niedergelegt? Die neuerliche Untersuchung soll dazu beitragen, die zurzeit noch nicht ausreichend verstandenen Hintergründe dieser besonderen Behandlung besser zu beleuchten.

 


Sand

In den 1990er-Jahren wurden in der Flur Sand an der engsten Stelle einer Flussschlinge der Thaya bei Oberpfaffendorf (Niederösterreich) Reste einer historisch unbekannten, slawischen Burganlage aus dem frühen 10. Jahrhundert entdeckt. Diese Stelle befindet sich unweit der wenig später entstandenen und bis heute erhaltenen Burg Raabs, deren Name im Tschechischen als „Rakousko“ zum Synonym für ganz Österreich wurde. Die Burg in der Flur Sand hatte nur wenige Jahrzehnte Bestand und wurde schon Mitte des 10. Jahrhunderts durch einen magyarischen Angriff zerstört. Schon die erste archäozoologische Analyse ergab ein überraschendes Resultat, indem der Fundkomplex durch einen außerordentlich hohen Anteil von Wildtieren hervorsticht. Die Bewohner der Burg jagten Wildschweine, Hirsche und auch Wisente in großen Mengen. Die vorliegenden Knochenserien geben erstmals eine gute Datengrundlage für die Variationsbreite des Wisents und anderer inzwischen rarer oder ausgerotteter Wildarten in Österreich.


Obwohl alle Daten darauf hindeuten, dass die Burg völlig isoliert inmitten eines einsamen Waldgebietes stand und in der unmittelbaren Umgebung keine Landwirtschaft existierte, schien zunächst auch die Versorgung mit Haustieren bestens organisiert. Rodungen und Urbarmachung dieses Landstrichs ging aber erst von der Burg Raabs aus, deren archäozoologische Daten genau diesen Vorgang reflektieren und die Herkunft der Siedler aus dem Alpenraum nahelegen.

Um die genaueren ökonomischen Hintergründe und die inneren Strukturen der slawischen Burg weiter zu erforschen, wird nun im Zuge einer Doktorarbeit neues Knochenmaterial aus anderen Grabungsflächen in der Flur Sand aufgearbeitet. Die vorläufigen Daten deuten darauf hin, dass die Versorgung mit Haustieren nicht wie ursprünglich vermutet auf gut organisierte Einbindung der Landwirtschaft, sondern vor allem durch Plünderung von Bauernhöfen erreicht wurde.
: Hufbein eines römischen Rindes (links) und eines heimischen Rindes (rechts). Beachte die markanten Gestaltunterschiede trotz annähernd gleicher Größe!
Hufbein eines römischen Rindes (links) und eines heimischen Rindes (rechts). Beachte die markanten Gestaltunterschiede trotz annähernd gleicher Größe!
: Kalotte eines Urstiers aus Friebritz mit typischen Hornzapfen (oben) und weitbogige Hornzapfen von Urkühen aus Friebritz (unten).
Kalotte eines Urstiers aus Friebritz mit typischen Hornzapfen (oben) und weitbogige Hornzapfen von Urkühen aus Friebritz (unten).
: Schädel einer römischen Importkuh (oben) und Schädel einer germanischen Kuh (unten) im selben Maßstab (Zeichnung E. Pucher).
Schädel einer römischen Importkuh (oben) und Schädel einer germanischen Kuh (unten) im selben Maßstab (Zeichnung E. Pucher).
: Mittelneolithische Hausrinder aus Friebritz: Links oben Hornzapfen eines Stieres, darunter Kalotte eines Ochsen, rechts Kalotte und Hornzapfen von Kühen.
Mittelneolithische Hausrinder aus Friebritz: Links oben Hornzapfen eines Stieres, darunter Kalotte eines Ochsen, rechts Kalotte und Hornzapfen von Kühen.
  
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