Die "Alte Naturaliensammlung"

Um die Mitte des 18. Jahrhunderts war es um die naturwissenschaftlichen Kenntnisse in der Habsburgermonarchie nicht zum Besten bestellt. Das mag auch einer der Gründe gewesen sein, warum sich Kaiser Franz I. entschloss, auch am Wiener Hof eine eigene Naturaliensammlung neben dem bereits bestehenden Physikalischen Cabinet und jenem für Münzen und Antiken einzurichten. Die Sammlung Baillou’s wurde nach Wien transferiert und in einem Saal des Augustiner Traktes der Hofbibliothek aufgestellt. Darüber hinaus wurde Johann von Baillou zum ersten Direktor dieses neuen "Naturalien-Cabinets" bestellt, auf Lebenszeit und mit Garantie der Direktorsstelle für seine Nachkommen.
 

In ihren frühen Anfängen war die Wiener Naturaliensammlung eine private Sammlung des Kaisers, zu seiner Erbauung und für sein stetes Interesse an naturwissenschaftlichen Erkenntnissen bestimmt. Sie bestand zu dieser Zeit größtenteils aus Mineralien, Versteinerungen, teils aber auch aus Muscheln, Schnecken, anderen tierischen Hartgebilden und auch einigen botanischen Objekten. Leider gibt die Beschreibung Saint Laurent’s keine konkreten Angaben über bestimmte Mineralien dieser Sammlung und auch im ersten Katalog der Wiener Mineraliensammlung, dem von Andreas Stütz in den Jahren 1797-1806 geschriebenen "Catalogus Stützianus",

finden sich nur sehr wenige Hinweise auf diese Gründungsobjekte. So wissen wir heute nur, dass sich einige der schönen kolumbianischen Smaragde sicher bereits in der ehemaligen Privatsammlung Johann von Baillou’s befunden haben; u.a. auch jene Stufe, die Franz Stephan von Lothringen, umgeben von den Direktoren seiner Sammlungen, auf dem 1773 von Jakob Kohl und Franz Meßmer gemalten Gemälde im Stiegenaufgang des Naturhistorischen Museums in der Hand hält. Die meisten der offenbar in die Tausende gehenden mineralogischen Objekte, die der Kaiser mit der Sammlung "Baillou" erworben haben muss, können somit anhand der spärlichen Unterlagen heute leider nicht mehr identifiziert werden.

 

Das gleiche gilt aber auch für den größten Teil der zwischen 1748 und 1797 vom Kaiserhaus erworbenen Mineralien und Fossilien, sowie Edel- und Schmucksteinen. Die Bezeichnung der Sammlung selbst, die in den verschiedenen, den Zeitraum zwischen 1748 und 1802 umfassenden, historischen Arbeiten angegeben wird, ist uneinheitlich. Es wird von der "Alten Naturaliensammlung", vom "Mineralien-Cabinet", vom "Hof-Naturalien-Cabinet", von der "kaiserlichen Naturalienkammer" u.ä. berichtet (vgl. z.B. FITZINGER, 1856; BLÖCHLINGER vom BANNHOLZ, 1868; HAMANN, 1976). Der Kaiser ließ es aber nicht nur beim Ankauf der Sammlung "Baillou" bewenden. Er soll beträchtliche Geldmittel zum Ausbau seiner Sammlungen bereitgestellt haben und war auch verschiedenen naturwissenschaftlichen Fragestellungen gegenüber durchaus aufgeschlossen. Berühmtestes und immer wieder zitiertes (möglicherweise hinsichtlich seines Wahrheitsgehaltes etwas verfälschtes) Beispiel ist jener Versuch, den Kaiser Franz Stephan unter Mitwirkung des durch seine physikalische Arbeiten bekannten Jesuitenpaters Joseph Franz (1704-1776) durchführte und die Brennbarkeit des Diamanten nachwies. Er veranlasste auch eine Reihe von Expeditionen, welche neues Material für seine Sammlungen liefern sollten. So bereisten Nikolaus von Jacquin und der Hofgärtner Richard van der Schott zunächst Frankreich, von wo sie u.a. auch Mineralien nach Wien schickten (FITZINGER, 1856), um dann die Überfahrt nach Mittelamerika anzutreten. Jacquin brachte etwa 50 Kisten mit Naturalien und Kunsterzeugnissen nach Wien. Vermutlich gehören dazu auch die Platinproben von Choco in Kolumbien, die bereits im "Catalogus Stützianus" angeführt sind.

 

1758 stirbt Johann von Baillou und sein Sohn Ludwig Balthasar von Baillou übernimmt vereinbarungsgemäß die Leitung der Sammlung.

Auch Maria Theresia (1717-1780), Mitregentin in den Habsburgischen Erblanden, teilte die Interessen ihres Gemahls für die Wissenschaften. Eines Frühlingsmorgens soll sie dem Kaiser jenes herrliche Blumenbouquet aus Edelsteinen in sein Mineralienkabinett stellen haben lassen, das heute als Gründungsobjekt der Edelsteinsammlung des Wiener Museums angesehen werden kann. 761 Farbsteine und organische Substanzen und ca. 2.102 Diamanten sind zur Anfertigung dieses Juwelenbouquets - einen Blumenstrauß darstellend, mit verschiedenen kunstvoll nachgebildeten Insekten, Seidenblättern, in einer Vase aus Bergkristall gestellt - verwendet worden. Nach Angaben im Inventar handelt es sich um eine Arbeit des Wiener Juweliers und Großhändlers Michael von Grosser. Es spricht aber einiges dafür, dass der Strauß vom Frankfurter Juwelier Georg Gottfried Lautensack zumindest begonnen wurde, denn schon der junge Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) berichtet in seinem Werk „Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit“ (Bd.4.) über die Ausfertigung dieses Bouquets.

Im Jahr 1764, ein Jahr vor dem Ableben von Kaiser Franz I., wurde sein Sohn, der spätere Kaiser Joseph II., in Frankfurt zum Deutschen König gekrönt.

 

Maria Theresia führte die Tradition der Wiener Naturaliensammlung fort. In der ihr eigenen praxisbezogenen Denkweise überantwortete sie aber, in Abstimmung mit ihrem Sohn und nunmehrigen Kaiser Joseph II., die ehemaligen Privatsammlungen dem Staat und unterstellte alle kaiserlichen Sammlungen der Oberaufsicht des Oberstkämmerers. Die Öffentlichkeit, das Volk, sollte von den Mineralien, die ja die Grundlage für die Industrieprodukte darstellten, Kenntnis erhalten. In gleicher Absicht gründete sie auch die erste Berghochschule der Monarchie in Schemnitz!
 

Die Direktion der Naturaliensammlung verblieb vorerst bei Ludwig Balthasar Ritter von Baillou (1758-1802); erst 1797 wurde diesem als 2. Direktor Andreas Stütz zur Seite gestellt. Zur Betreuung der ständig wachsenden Sammlung werden Baillou aber Johann Baptist Megerle zunächst als unentgeltlicher Gehilfe und der Hofmaler Franz Joseph Wiedon, der die naturhistorischen Gegenstände abbilden sollte, zugeteilt. Die Sammlungen waren nun (1766) zweimal in der Woche dem öffentlichen Besuch zugänglich. Sie waren aber noch immer nach dem alten System von Chevalier de Baillou aufgestellt. Insbesondere bei den Mineralien dürfte der Wunsch nach Besitz von mineralogisch ungewöhnlichen und seltenen, ja spektakulären Objekten gegenüber dem Interesse an einer entsprechenden systematischen Ordnung des Mineralreiches die Oberhand behalten haben.

 

Die geringe wissenschaftliche Effizienz ihrer Sammlungen scheint Maria Theresia ein Dorn im Auge gewesen zu sein und so berief sie 1776 Ignaz von Born, der sich als Mineraloge und Montanist bereits einen Namen gemacht hatte, vom Prager Münz- und Bergmeisteramt zur wissenschaftlichen Betreuung der Naturaliensammlung nach Wien. Born bearbeitete zwar in vorbildlicher Weise die Conchylien-Sammlung und brachte 1778 ein reich bebildertes Verzeichnis derselben heraus, doch die mineralogischen Objekte wurden lediglich nach dem System von Wallerius und Cronstedt in den Jahren 1778-1780 neu aufgestellt. Zur Abfassung eines bebilderten Verzeichnisses, wie es für die Conchyliensammlung schon vorlag, reichten leider weder die Mittel noch offenbar die Zeit. Born wurde bei seinen Arbeiten außer vom Kustos Megerle auch vom 1778 neu aufgenommenen Mineralogen und Gehilfen Karl Haidinger unterstützt; letzterer wurde mit Wirkung vom 1. März 1780 zum Direktors-Adjunkten am Naturalien-Cabinet ernannt (FITZINGER, 1856).

 

Born, als bekannter Montanist und darüber hinaus auch Freimaurer in führender Position, hatte weitverzweigte Verbindungen und so setzte unter seiner Betreuung auch ein steter Strom an mineralogischen Objekten in die Wiener Sammlung ein. Aber auch in diesem Fall sind genauere Angaben dazu dem Inventar nicht zu entnehmen. Bekannt ist, dass eine Kollektion von sizilianischen Marmoren, Jaspisen und Jaspachaten sowie von Lavaauswürflingen des Vesuvs als Geschenke der Herzogin von Calabritto, Petronilla von Ligneville, nach Wien kam. Die Bergräthe Leithner in Idria, Ruprecht in Schemnitz, Müller von Reichenstein in Tirol und später in Siebenbürgen, Ployer in Kärnten und andere schickten aus den ihnen zugänglichen Bergbauen Mineralien und Gesteine nach Wien. Born veranlasste auch die Transferierung der zunächst in der k.k. Schatzkammer aufbewahrten Meteorite (Hraschina, Tabor und Miskolcz) in die Naturaliensammlung.

Maria Theresia selbst kaufte kurz vor ihrem Tod die an mineralischen Bergbauprodukten reiche Kollektion des k.k. Hofsekretärs Joseph von Dam um den Betrag von 10.000,- Gulden.

 

Joseph II. setzte die Sammlungstradition, die nun zunehmend eine wissenschaftliche Profilierung erhält, fort. So veranlasst er, dass eine Auswahl von Mineralien aus der hinterlassenen Sammlung seines Onkels und Generalgouverneurs der Niederlande, Herzog Karl von Lothringen, nach Wien gebracht wird und er selbst kauft anlässlich einer Reise in die Niederlande von Professor de la Patrie in Hamburg eine Kollektion von Zeolithen und Chalcedonen (FITZINGER, 1856). Im Zuge der Auflösung einer Reihe von Klöstern werden auch deren Sammlungen zum Teil in den Bestand der Naturaliensammlung übernommen.

 

Die erste Übersicht über die Neuaufstellung der Naturaliensammlung veröffentlicht HAIDINGER (1782).

 

Literatur

Andreas Xaverius Stütz (1747-1806). 1788 wird er an die Naturaliensammlung berufen und zum Director-Adjunct bestellt.
Andreas Xaverius Stütz (1747-1806). 1788 wird er an die Naturaliensammlung berufen und zum Director-Adjunct bestellt.
Ignaz von Born (1742-1791), Mineraloge und Montanist, Österreichischer Hüttenfachmann und Satiriker
Ignaz von Born (1742-1791), Mineraloge und Montanist, Österreichischer Hüttenfachmann und Satiriker
Catalogus Stützianus, erster Katalog der Mineraliensammlung.
Catalogus Stützianus, erster Katalog der Mineraliensammlung.
Karl Maria Haidinger (1756-1797), K.k. Bergrath und Referent bei der k.k. Hofkammer im Münz- und Bergwesen.
Karl Maria Haidinger (1756-1797), K.k. Bergrath und Referent bei der k.k. Hofkammer im Münz- und Bergwesen.
Blumenstrauß aus Edelsteinen.
Blumenstrauß aus Edelsteinen.
  
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